Knutschende Männer
Viele heterosexuelle Frauen, haben schon mal als Spaß mit einer ihrer Freundinnen rumgeknutscht – Und zwar ohne, dass sofort spekuliert wurde, ob die beiden insgeheim lesbisch sind. Ob dasselbe auch für Männer gilt? Leider nein. Männer, die andere Männer küssen, werden meist automatisch als schwul abgestempelt (als wäre das etwas Schlimmes) und haben so meist nicht mal die Chance auszuprobieren, wie es ist, einen Mann zu küssen – auch wenn sie nicht das Verlangen danach haben mit ihm zu schlafen. Auch wenn diese Strukturen nach und nach aufweichen, dürfen wir nicht vergessen, dass sie in den Köpfen der meisten Menschen noch fest verankert sind. Wenn du gerne durchgetanzte Nächte in Berliner sex-positivity Clubs verbringst, solltest du dir also bewusst sein, dass du dich in einer Bubble befindest, die außerhalb einer hippen und alternativen Großstadt leider augenblicklich platzen würde.
Knutschende Männer
Viele heterosexuelle Frauen, haben schon mal als Spaß mit einer ihrer Freundinnen rumgeknutscht – Und zwar ohne, dass sofort spekuliert wurde, ob die beiden insgeheim lesbisch sind. Ob dasselbe auch für Männer gilt? Leider nein. Männer, die andere Männer küssen, werden meist automatisch als schwul abgestempelt (als wäre das etwas Schlimmes) und haben so meist nicht mal die Chance auszuprobieren, wie es ist, einen Mann zu küssen – auch wenn sie nicht das Verlangen danach haben mit ihm zu schlafen. Auch wenn diese Strukturen nach und nach aufweichen, dürfen wir nicht vergessen, dass sie in den Köpfen der meisten Menschen noch fest verankert sind. Wenn du gerne durchgetanzte Nächte in Berliner sex-positivity Clubs verbringst, solltest du dir also bewusst sein, dass du dich in einer Bubble befindest, die außerhalb einer hippen und alternativen Großstadt leider augenblicklich platzen würde.
Angst vor High Heels
Auch Aljosha selbst hat heteronormative Strukturen verinnerlicht, die seine Wahrnehmung und auch seine Selbstdarstellung stark beeinflussen. Heteronormatives Denken ist also nichts, das nicht-queeren cis Männern und cis Frauen vorbehalten ist. Aljosha erzählt den Besten Freundinnen von einer Situation, in der ihm seine eigenen Rollenbilder schmerzlich bewusst wurden: Im Kontext einer queeren Fernsehshow, ermutigte ihn eine andere Teilnehmerin dazu, ihre High Heels anzuziehen und darin einen kleinen Walk hinzulegen. Auch wenn er allein die Vorstellung extrem unangenehm fand, ließ er sich letztendlich überreden. Obwohl die Kameras nicht liefen und er nur von queeren Personen umgeben war, wäre er vor Scham am liebsten im Boden versunken. Die Tatsache, dass das Verlassen seiner Komfortzone eine solche Angst in ihm auslöste, ließ ihn verzweifeln und warf zahlreiche Fragen in ihm auf: „Wer bin ich eigentlich?“ dachte er plötzlich. „Und wer wäre ich geworden, wenn es diese ganze heteronormative Scheiße nicht gegeben hätte?“ Dass eine scheinbar banale Handlung, wie ein paar Meter in High Heels zu laufen, eine solche Angstreaktion in Aljosha auslöste und das, obwohl er nur von Menschen umgeben war, die ihm ein sicheres Gefühl gaben, sagt nicht nur etwas über ihn, sondern vor allem einiges über unsere Gesellschaft aus. Und zwar nichts Gutes
Wie könnte Aljoshas Scham nicht unfassbar groß sein? Schließlich lernte er sein ganzes Leben lang, sich für seine feminine Seite zu schämen – Sich für den Menschen zu schämen, der er ist. Schon immer begleiteten ihn zahlreiche Ängste: Die Angst, anders zu sein als alle anderen. Die Angst allein zu sein. Die Angst, ausgegrenzt und anders behandelt zu werden. Die Angst, dass ihn Menschen nicht (mehr) mögen oder sogar hassen würden, wenn sie wüssten, dass er schwul ist. Und als wäre das nicht genug, wurden all diese Ängste von einem weiteren Gefühl begleitet – einem Gefühl, das immer mitschwingt und so sehr man es auch versucht, nie ganz verdrängt werden kann: Das Gefühl, falsch zu sein.
Pick-me Gays – “Ich bin nicht so ein Schwuler”
Niemand, der Aljosha das erste Mal sieht, denkt sich sofort „Oh wow, der Typ ist auf jeden Fall schwul.“ – ein Privileg, wie er Max und Jakob erklärt. Aljosha ist nämlich relativ heterosexuell passing. Das bedeutet, dass ihn Menschen rein optisch im ersten Moment nicht als queer einordnen, was ihm in unserer auf Heterosexualität genormten Gesellschaft eine gewisse Sicherheit gibt. Männer, die sich flamboyanter oder femininer verhalten, müssen in ihrem Alltag hingegen viel sexualisierte Gewalt und sowohl verbale als auch körperliche Anfeindungen und Diskriminierungen ertragen.
Auch wenn es nie eine bewusste Entscheidung von Aljosha war, sich diesen Schutzpanzer zuzulegen, weiß er heute, dass er schon immer versucht hat, möglichst heterosexuell zu wirken. Er wollte nicht auffallen, sondern in die Gesellschaft hineinpassen. Sein “schwules Ich” sollte für andere unsichtbar sein. Um dieses Schauspiel aufrechtzuerhalten, versuchte er, seine sehr feminine Seite, die er schon als Kind an sich bemerkte, zu unterdrücken. Und wenn ihm das manchmal nicht gelang, tat er zumindest alles dafür, sie vor anderen zu verstecken. Er erinnert sich, wie frei er sich als Teenager fühlte, wenn er in seinem Zimmer zu Britney Spears oder den Backstreet Boys tanzte und auch wie unangenehm es war, wenn seine Eltern ihn entdeckten und verwundert fragten, was er denn da bloß machen würde. Ausleben konnte Aljosha seine feminine Seite lange Zeit nur, wenn er sich unbeobachtet fühlte, während er sich in der Öffentlichkeit stets für jemand anderen ausgab, als er war. Das fing bei Lügen über die Musik, die er gerne hörte oder Erzählungen darüber, dass er viel Fleisch essen würde, weil er dachte, dass das männlich wirkt (Ja, wir sprechen von demselben Mann der heute ein veganer Aktivist ist) an und ging bis hin zu homophoben und transphoben Äußerungen, um sich von der queeren Szene zu distanzieren.
Vielleicht hast du schon einmal von dem Ausdruck Pick-Me-Girl gehört – eine Bezeichnung für cis Frauen, die andere Frauen abwerten, indem sie behaupten, selbst nicht „typisch Frau“ zu sein und so versuchen, sich bei Männern auf Kosten anderer Frauen beliebt zu machen. Eine Vorgehensweise die Aljosha, der über sich sagt, früher ein Pick-Me-Gay gewesen zu sein, vertraut ist. Auch nach seinem Outing hat er lange Zeit andere Schwule verbal negativ bewertet, um sich klar von ihnen abzugrenzen. Die Rolle: „Ich bin nicht so ein Schwuler.“ legte er sich zu, in der Hoffnung, von heterosexuellen Menschen gemocht und nicht ausgegrenzt zu werden.
Fehlende Sichtbarkeit
Warum homosexuelle Kinder Vorbilder brauchen
Wenn Aljosha heute darüber nachdenkt, weshalb er früher so große Schwierigkeiten hatte, sich als schwul zu identifizieren, sieht er vor allem die fehlende Repräsentanz und Sichtbarkeit von Homosexualität in der Verantwortung. Von Kind an hatte er das Problem, völlig allein mit seinen Gefühlen zu sein – als wäre er in einer Anomalie gefangen. Das führte dazu, dass er jahrelang versuchte, seine Homosexualität zu verdrängen, und zwar trotz dessen, dass er schon relativ früh merkte, dass er nicht Frauen, sondern Männer anziehend findet. Doch da er dachte, dass das auf keinen Fall so sein darf, redete er sich ein, es sei nur eine Phase und würde (hoffentlich) wieder vorbei gehen.
Wäre er schon damals in seinem Umfeld mehr mit anderen homosexuellen Jungen und Männern in Kontakt gekommen, wäre das ziemlich sicher anders gewesen, denkt er heute. Doch weder in seinem Freundeskreis noch in der Schule oder zu Hause bei seinen Eltern war Homosexualität ein Thema – und wenn doch, dann wurde sich immer abwertend oder klischeehaft über Schwule geäußert. Sprüche von anderen Jungs, die sich in der Schule über „Schwuchteln“ lustig machten oder Erwachsene, die sich hinter vorgehaltener Hand Tratsch à la „Pscht, der soll schwul sein. Hast du das gewusst?“ zuraunten, schüchterten Aljosha ungemein ein. Er wollte nicht, dass auch über ihn gelacht und getuschelt wird. Er wollte dazugehören. Das ist einer der Gründe, weshalb er sich mit Frauen schon immer wohler fühlte als mit Männern, da er dort weniger Klischees ausgesetzt war. Doch dreimal darfst du raten, was dann passierte? Richtig, die anderen Jungs spekulierten, ob er schwul sei, da es schließlich nicht männlich sei, so viele weibliche Freundinnen anstatt männliche Kumpels zu haben. Egal was Aljosha tat, er hatte das Gefühl, es war das Falsche.
Darum ist jedes Outing wichtig
„Mama und Papa, ich muss euch was sagen. Ich bin hetero.“ Klingt seltsam? Kein Wunder, da wohl noch kein heterosexueller Mensch das Gefühl hatte, seinen Eltern mitteilen zu müssen, dass er auf das andere Geschlecht steht. Aber warum „müssen“ sich dann homosexuelle Menschen outen? Und ist es nicht schon diskriminierend, dass wir von queeren Menschen ein Outing erwarten? In einer idealen Welt, in der es keine Rolle spielt, welche sexuelle Orientierung ein Mensch hat, ja. Aber in so einer Welt leben wir leider (noch) nicht.
Deshalb ist es keinesfalls irrelevant, dass den Coming-Outs von Musiker:innen, Schauspieler:innen oder Spitzensportler:innen mediale Aufmerksamkeit geschenkt wird. Kommentare wie „Wieso ist so eine triviale Neuigkeit überhaupt eine Berichterstattung wert? Das sollte inzwischen ja wohl normal sein.“ sind demnach völlig unangebracht, da sie die Ernsthaftigkeit und Wichtigkeit eines Outings verkennen. Denn so traurig es ist, bis es von der Gesellschaft als „normal“ (und was heißt schon „normal“?) angesehen wird queer zu sein, ist es noch ein langer Weg. Daher ist die LGBTQIA+ Szene auf jedes Coming-Out angewiesen, um mehr Sichtbarkeit zu erlangen. Solange wir in einer Welt leben, in der queere Personen aufgrund ihres Aussehens und ihrer Sexualität verbaler und körperlicher Gewalt ausgesetzt sind, Trans-Personen nicht über ihren eigenen Körper entscheiden können und schwule Männer nicht weltweit Blut spenden dürfen, ist keine Regenbogenflagge zu viel und kein Outing irrelevant. Ein Profifußballspieler, Sänger oder Politiker, der medial zu seiner Homosexualität steht, hätte genau das Vorbild sein können, das Aljosha damals brauchte. Was wir niemals vergessen dürfen: Jedes Outing hat die Chance, auch nur einem einzigen Kind das Gefühl zu geben, nicht alleine zu sein.
Alles zu seiner Zeit – Warum du niemals jemanden zu einem Outing pushen solltest
Vielleicht kanntest auch du schon mal jemanden in deinem Umfeld, bei dem du das Gefühl hattest, er oder sie könnte eventuell queer sein. Du wusstest aber nicht so Recht, wie du mit der Situation umgehen sollst? Verständlich, schließlich wollen wir niemandem zu nahe treten. Auch Jakob erinnert sich an einen Kindheitsfreund, der in einem sehr konservativen Elternhaus aufwuchs und sich daher immer nur im Schutz von Jakobs Familie traute, mit Barbies zu spielen, zu tanzen oder sich zu verkleiden. Tatsächlich geoutet hat er sich aber erst Ende Zwanzig, nachdem er bereits mit einer Frau verheiratet war und ein gemeinsames Kind mit ihr hatte. Seine Angst war so groß, dass er es für nahezu ein Drittel seines Lebens in Kauf nahm, sich für jemand anderen auszugeben, als er eigentlich war. Jahrelang eine so enorme Belastung mit sich herumtragen zu müssen, ist schmerzhaft und tragisch – und eine solche Situation von außen mit anzusehen, ist nicht immer leicht zu handhaben. Dennoch muss uns bewusst sein, dass ein Outing sehr individuell und persönlich ist und wir nie die exakte Lebenssituation und Gefühlslage von anderen Menschen einsehen können. Daher solltest du niemals jemanden zu einem Outing drängen, oder euphemistisch ausgedrückt “motivieren”. Alles was du tun kannst, ist zu sagen: „Egal wer du bist und egal wen du liebst, ich bin immer für dich da. Ich hoffe, du weißt das.“
Uns muss bewusst sein, dass jeder von uns jemanden in seinem Umfeld haben kann, der zwar queer, aber noch nicht geoutet ist, da er oder sie diese Identität versteckt oder sie (noch) nicht wahrhaben möchte – beziehungsweise einfach noch nicht dazu in der Lage ist, sie sich und anderen einzugestehen. Daher ist es unfassbar wichtig, dass wir grundsätzlich tolerant und sensibel mit der Vielfalt in Sexualität, Geschlecht und Orientierung umgehen und darauf achten, wie wir uns verbal und nonverbal über queere Menschen äußern. Aljosha verrät uns, was sich queere Personen, die Angst vor einem Coming-Out haben, sehnlichst wünschen: das Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit und Verständnis. Es ist die Aufgabe von uns allen, unser Bestes zu tun, um Menschen, die der LGBTQIA+ Community angehören und sich aufgrund ihrer Identität schon in zahlreichen Situationen machtlos fühlen mussten, eben diese Sicherheit zu schenken. Sodass der Safe Space für queere Menschen irgendwann nicht mehr nur in bestimmten Bars, Clubs oder Szenen existiert, sondern überall auf der Welt, in der wir leben. Lasst uns also gemeinsam daran arbeiten, dass die Utopie, in der es egal ist, wer man ist und wen man liebt, zur Realität wird.
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Viele heterosexuelle Frauen, haben schon mal als Spaß mit einer ihrer Freundinnen rumgeknutscht – Und zwar ohne, dass sofort spekuliert wurde, ob die beiden insgeheim lesbisch sind. Ob dasselbe auch für Männer gilt? Leider nein. Männer, die andere Männer küssen, werden meist automatisch als schwul abgestempelt (als wäre das etwas Schlimmes) und haben so meist nicht mal die Chance auszuprobieren, wie es ist, einen Mann zu küssen – auch wenn sie nicht das Verlangen danach haben mit ihm zu schlafen. Auch wenn diese Strukturen nach und nach aufweichen, dürfen wir nicht vergessen, dass sie in den Köpfen der meisten Menschen noch fest verankert sind. Wenn du gerne durchgetanzte Nächte in Berliner sex-positivity Clubs verbringst, solltest du dir also bewusst sein, dass du dich in einer Bubble befindest, die außerhalb einer hippen und alternativen Großstadt leider augenblicklich platzen würde.
Angst vor High Heels
Auch Aljosha selbst hat heteronormative Strukturen verinnerlicht, die seine Wahrnehmung und auch seine Selbstdarstellung stark beeinflussen. Heteronormatives Denken ist also nichts, das nicht-queeren cis Männern und cis Frauen vorbehalten ist. Aljosha erzählt den Besten Freundinnen von einer Situation, in der ihm seine eigenen Rollenbilder schmerzlich bewusst wurden: Im Kontext einer queeren Fernsehshow, ermutigte ihn eine andere Teilnehmerin dazu, ihre High Heels anzuziehen und darin einen kleinen Walk hinzulegen. Auch wenn er allein die Vorstellung extrem unangenehm fand, ließ er sich letztendlich überreden. Obwohl die Kameras nicht liefen und er nur von queeren Personen umgeben war, wäre er vor Scham am liebsten im Boden versunken. Die Tatsache, dass das Verlassen seiner Komfortzone eine solche Angst in ihm auslöste, ließ ihn verzweifeln und warf zahlreiche Fragen in ihm auf: „Wer bin ich eigentlich?“ dachte er plötzlich. „Und wer wäre ich geworden, wenn es diese ganze heteronormative Scheiße nicht gegeben hätte?“ Dass eine scheinbar banale Handlung, wie ein paar Meter in High Heels zu laufen, eine solche Angstreaktion in Aljosha auslöste und das, obwohl er nur von Menschen umgeben war, die ihm ein sicheres Gefühl gaben, sagt nicht nur etwas über ihn, sondern vor allem einiges über unsere Gesellschaft aus. Und zwar nichts Gutes.
Wie könnte Aljoshas Scham nicht unfassbar groß sein? Schließlich lernte er sein ganzes Leben lang, sich für seine feminine Seite zu schämen – Sich für den Menschen zu schämen, der er ist. Schon immer begleiteten ihn zahlreiche Ängste: Die Angst, anders zu sein als alle anderen. Die Angst allein zu sein. Die Angst, ausgegrenzt und anders behandelt zu werden. Die Angst, dass ihn Menschen nicht (mehr) mögen oder sogar hassen würden, wenn sie wüssten, dass er schwul ist. Und als wäre das nicht genug, wurden all diese Ängste von einem weiteren Gefühl begleitet – einem Gefühl, das immer mitschwingt und so sehr man es auch versucht, nie ganz verdrängt werden kann: Das Gefühl, falsch zu sein.
Angst vor High Heels
Auch Aljosha selbst hat heteronormative Strukturen verinnerlicht, die seine Wahrnehmung und auch seine Selbstdarstellung stark beeinflussen. Heteronormatives Denken ist also nichts, das nicht-queeren cis Männern und cis Frauen vorbehalten ist. Aljosha erzählt den Besten Freundinnen von einer Situation, in der ihm seine eigenen Rollenbilder schmerzlich bewusst wurden: Im Kontext einer queeren Fernsehshow, ermutigte ihn eine andere Teilnehmerin dazu, ihre High Heels anzuziehen und darin einen kleinen Walk hinzulegen. Auch wenn er allein die Vorstellung extrem unangenehm fand, ließ er sich letztendlich überreden. Obwohl die Kameras nicht liefen und er nur von queeren Personen umgeben war, wäre er vor Scham am liebsten im Boden versunken. Die Tatsache, dass das Verlassen seiner Komfortzone eine solche Angst in ihm auslöste, ließ ihn verzweifeln und warf zahlreiche Fragen in ihm auf: „Wer bin ich eigentlich?“ dachte er plötzlich. „Und wer wäre ich geworden, wenn es diese ganze heteronormative Scheiße nicht gegeben hätte?“ Dass eine scheinbar banale Handlung, wie ein paar Meter in High Heels zu laufen, eine solche Angstreaktion in Aljosha auslöste und das, obwohl er nur von Menschen umgeben war, die ihm ein sicheres Gefühl gaben, sagt nicht nur etwas über ihn, sondern vor allem einiges über unsere Gesellschaft aus. Und zwar nichts Gutes.
Wie könnte Aljoshas Scham nicht unfassbar groß sein? Schließlich lernte er sein ganzes Leben lang, sich für seine feminine Seite zu schämen – Sich für den Menschen zu schämen, der er ist. Schon immer begleiteten ihn zahlreiche Ängste: Die Angst, anders zu sein als alle anderen. Die Angst allein zu sein. Die Angst, ausgegrenzt und anders behandelt zu werden. Die Angst, dass ihn Menschen nicht (mehr) mögen oder sogar hassen würden, wenn sie wüssten, dass er schwul ist. Und als wäre das nicht genug, wurden all diese Ängste von einem weiteren Gefühl begleitet – einem Gefühl, das immer mitschwingt und so sehr man es auch versucht, nie ganz verdrängt werden kann: Das Gefühl, falsch zu sein.
Pick-me Gays – “Ich bin nicht so ein Schwuler”
Niemand, der Aljosha das erste Mal sieht, denkt sich sofort „Oh wow, der Typ ist auf jeden Fall schwul.“ – ein Privileg, wie er Max und Jakob erklärt. Aljosha ist nämlich relativ heterosexuell passing. Das bedeutet, dass ihn Menschen rein optisch im ersten Moment nicht als queer einordnen, was ihm in unserer auf Heterosexualität genormten Gesellschaft eine gewisse Sicherheit gibt. Männer, die sich flamboyanter oder femininer verhalten, müssen in ihrem Alltag hingegen viel sexualisierte Gewalt und sowohl verbale als auch körperliche Anfeindungen und Diskriminierungen ertragen.
Auch wenn es nie eine bewusste Entscheidung von Aljosha war, sich diesen Schutzpanzer zuzulegen, weiß er heute, dass er schon immer versucht hat, möglichst heterosexuell zu wirken. Er wollte nicht auffallen, sondern in die Gesellschaft hineinpassen. Sein “schwules Ich” sollte für andere unsichtbar sein. Um dieses Schauspiel aufrechtzuerhalten, versuchte er, seine sehr feminine Seite, die er schon als Kind an sich bemerkte, zu unterdrücken. Und wenn ihm das manchmal nicht gelang, tat er zumindest alles dafür, sie vor anderen zu verstecken. Er erinnert sich, wie frei er sich als Teenager fühlte, wenn er in seinem Zimmer zu Britney Spears oder den Backstreet Boys tanzte und auch wie unangenehm es war, wenn seine Eltern ihn entdeckten und verwundert fragten, was er denn da bloß machen würde. Ausleben konnte Aljosha seine feminine Seite lange Zeit nur, wenn er sich unbeobachtet fühlte, während er sich in der Öffentlichkeit stets für jemand anderen ausgab, als er war. Das fing bei Lügen über die Musik, die er gerne hörte oder Erzählungen darüber, dass er viel Fleisch essen würde, weil er dachte, dass das männlich wirkt (Ja, wir sprechen von demselben Mann der heute ein veganer Aktivist ist) an und ging bis hin zu homophoben und transphoben Äußerungen, um sich von der queeren Szene zu distanzieren.
Vielleicht hast du schon einmal von dem Ausdruck Pick-Me-Girl gehört – eine Bezeichnung für cis Frauen, die andere Frauen abwerten, indem sie behaupten, selbst nicht „typisch Frau“ zu sein und so versuchen, sich bei Männern auf Kosten anderer Frauen beliebt zu machen. Eine Vorgehensweise die Aljosha, der über sich sagt, früher ein Pick-Me-Gay gewesen zu sein, vertraut ist. Auch nach seinem Outing hat er lange Zeit andere Schwule verbal negativ bewertet, um sich klar von ihnen abzugrenzen. Die Rolle: „Ich bin nicht so ein Schwuler.“ legte er sich zu, in der Hoffnung, von heterosexuellen Menschen gemocht und nicht ausgegrenzt zu werden.
Fehlende Sichtbarkeit
Warum homosexuelle Kinder Vorbilder brauchen
Wenn Aljosha heute darüber nachdenkt, weshalb er früher so große Schwierigkeiten hatte, sich als schwul zu identifizieren, sieht er vor allem die fehlende Repräsentanz und Sichtbarkeit von Homosexualität in der Verantwortung. Von Kind an hatte er das Problem, völlig allein mit seinen Gefühlen zu sein – als wäre er in einer Anomalie gefangen. Das führte dazu, dass er jahrelang versuchte, seine Homosexualität zu verdrängen, und zwar trotz dessen, dass er schon relativ früh merkte, dass er nicht Frauen, sondern Männer anziehend findet. Doch da er dachte, dass das auf keinen Fall so sein darf, redete er sich ein, es sei nur eine Phase und würde (hoffentlich) wieder vorbei gehen.
Wäre er schon damals in seinem Umfeld mehr mit anderen homosexuellen Jungen und Männern in Kontakt gekommen, wäre das ziemlich sicher anders gewesen, denkt er heute. Doch weder in seinem Freundeskreis noch in der Schule oder zu Hause bei seinen Eltern war Homosexualität ein Thema – und wenn doch, dann wurde sich immer abwertend oder klischeehaft über Schwule geäußert. Sprüche von anderen Jungs, die sich in der Schule über „Schwuchteln“ lustig machten oder Erwachsene, die sich hinter vorgehaltener Hand Tratsch à la „Pscht, der soll schwul sein. Hast du das gewusst?“ zuraunten, schüchterten Aljosha ungemein ein. Er wollte nicht, dass auch über ihn gelacht und getuschelt wird. Er wollte dazugehören. Das ist einer der Gründe, weshalb er sich mit Frauen schon immer wohler fühlte als mit Männern, da er dort weniger Klischees ausgesetzt war. Doch dreimal darfst du raten, was dann passierte? Richtig, die anderen Jungs spekulierten, ob er schwul sei, da es schließlich nicht männlich sei, so viele weibliche Freundinnen anstatt männliche Kumpels zu haben. Egal was Aljosha tat, er hatte das Gefühl, es war das Falsche.
Darum ist jedes Outing wichtig
„Mama und Papa, ich muss euch was sagen. Ich bin hetero.“ Klingt seltsam? Kein Wunder, da wohl noch kein heterosexueller Mensch das Gefühl hatte, seinen Eltern mitteilen zu müssen, dass er auf das andere Geschlecht steht. Aber warum „müssen“ sich dann homosexuelle Menschen outen? Und ist es nicht schon diskriminierend, dass wir von queeren Menschen ein Outing erwarten? In einer idealen Welt, in der es keine Rolle spielt, welche sexuelle Orientierung ein Mensch hat, ja. Aber in so einer Welt leben wir leider (noch) nicht.
Deshalb ist es keinesfalls irrelevant, dass den Coming-Outs von Musiker:innen, Schauspieler:innen oder Spitzensportler:innen mediale Aufmerksamkeit geschenkt wird. Kommentare wie „Wieso ist so eine triviale Neuigkeit überhaupt eine Berichterstattung wert? Das sollte inzwischen ja wohl normal sein.“ sind demnach völlig unangebracht, da sie die Ernsthaftigkeit und Wichtigkeit eines Outings verkennen. Denn so traurig es ist, bis es von der Gesellschaft als „normal“ (und was heißt schon „normal“?) angesehen wird queer zu sein, ist es noch ein langer Weg. Daher ist die LGBTQIA+ Szene auf jedes Coming-Out angewiesen, um mehr Sichtbarkeit zu erlangen. Solange wir in einer Welt leben, in der queere Personen aufgrund ihres Aussehens und ihrer Sexualität verbaler und körperlicher Gewalt ausgesetzt sind, Trans-Personen nicht über ihren eigenen Körper entscheiden können und schwule Männer nicht weltweit Blut spenden dürfen, ist keine Regenbogenflagge zu viel und kein Outing irrelevant. Ein Profifußballspieler, Sänger oder Politiker, der medial zu seiner Homosexualität steht, hätte genau das Vorbild sein können, das Aljosha damals brauchte. Was wir niemals vergessen dürfen: Jedes Outing hat die Chance, auch nur einem einzigen Kind das Gefühl zu geben, nicht alleine zu sein.
Alles zu seiner Zeit – Warum du niemals jemanden zu einem Outing pushen solltest
Vielleicht kanntest auch du schon mal jemanden in deinem Umfeld, bei dem du das Gefühl hattest, er oder sie könnte eventuell queer sein. Du wusstest aber nicht so Recht, wie du mit der Situation umgehen sollst? Verständlich, schließlich wollen wir niemandem zu nahe treten. Auch Jakob erinnert sich an einen Kindheitsfreund, der in einem sehr konservativen Elternhaus aufwuchs und sich daher immer nur im Schutz von Jakobs Familie traute, mit Barbies zu spielen, zu tanzen oder sich zu verkleiden. Tatsächlich geoutet hat er sich aber erst Ende Zwanzig, nachdem er bereits mit einer Frau verheiratet war und ein gemeinsames Kind mit ihr hatte. Seine Angst war so groß, dass er es für nahezu ein Drittel seines Lebens in Kauf nahm, sich für jemand anderen auszugeben, als er eigentlich war. Jahrelang eine so enorme Belastung mit sich herumtragen zu müssen, ist schmerzhaft und tragisch – und eine solche Situation von außen mit anzusehen, ist nicht immer leicht zu handhaben. Dennoch muss uns bewusst sein, dass ein Outing sehr individuell und persönlich ist und wir nie die exakte Lebenssituation und Gefühlslage von anderen Menschen einsehen können. Daher solltest du niemals jemanden zu einem Outing drängen, oder euphemistisch ausgedrückt “motivieren”. Alles was du tun kannst, ist zu sagen: „Egal wer du bist und egal wen du liebst, ich bin immer für dich da. Ich hoffe, du weißt das.“
Uns muss bewusst sein, dass jeder von uns jemanden in seinem Umfeld haben kann, der zwar queer, aber noch nicht geoutet ist, da er oder sie diese Identität versteckt oder sie (noch) nicht wahrhaben möchte – beziehungsweise einfach noch nicht dazu in der Lage ist, sie sich und anderen einzugestehen. Daher ist es unfassbar wichtig, dass wir grundsätzlich tolerant und sensibel mit der Vielfalt in Sexualität, Geschlecht und Orientierung umgehen und darauf achten, wie wir uns verbal und nonverbal über queere Menschen äußern. Aljosha verrät uns, was sich queere Personen, die Angst vor einem Coming-Out haben, sehnlichst wünschen: das Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit und Verständnis. Es ist die Aufgabe von uns allen, unser Bestes zu tun, um Menschen, die der LGBTQIA+ Community angehören und sich aufgrund ihrer Identität schon in zahlreichen Situationen machtlos fühlen mussten, eben diese Sicherheit zu schenken. Sodass der Safe Space für queere Menschen irgendwann nicht mehr nur in bestimmten Bars, Clubs oder Szenen existiert, sondern überall auf der Welt, in der wir leben. Lasst uns also gemeinsam daran arbeiten, dass die Utopie, in der es egal ist, wer man ist und wen man liebt, zur Realität wird.
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Pick-me Gays – “Ich bin nicht so ein Schwuler”
Niemand, der Aljosha das erste Mal sieht, denkt sich sofort „Oh wow, der Typ ist auf jeden Fall schwul.“ – ein Privileg, wie er Max und Jakob erklärt. Aljosha ist nämlich relativ heterosexuell passing. Das bedeutet, dass ihn Menschen rein optisch im ersten Moment nicht als queer einordnen, was ihm in unserer auf Heterosexualität genormten Gesellschaft eine gewisse Sicherheit gibt. Männer, die sich flamboyanter oder femininer verhalten, müssen in ihrem Alltag hingegen viel sexualisierte Gewalt und sowohl verbale als auch körperliche Anfeindungen und Diskriminierungen ertragen.
Auch wenn es nie eine bewusste Entscheidung von Aljosha war, sich diesen Schutzpanzer zuzulegen, weiß er heute, dass er schon immer versucht hat, möglichst heterosexuell zu wirken. Er wollte nicht auffallen, sondern in die Gesellschaft hineinpassen. Sein “schwules Ich” sollte für andere unsichtbar sein. Um dieses Schauspiel aufrechtzuerhalten, versuchte er, seine sehr feminine Seite, die er schon als Kind an sich bemerkte, zu unterdrücken. Und wenn ihm das manchmal nicht gelang, tat er zumindest alles dafür, sie vor anderen zu verstecken. Er erinnert sich, wie frei er sich als Teenager fühlte, wenn er in seinem Zimmer zu Britney Spears oder den Backstreet Boys tanzte und auch wie unangenehm es war, wenn seine Eltern ihn entdeckten und verwundert fragten, was er denn da bloß machen würde. Ausleben konnte Aljosha seine feminine Seite lange Zeit nur, wenn er sich unbeobachtet fühlte, während er sich in der Öffentlichkeit stets für jemand anderen ausgab, als er war. Das fing bei Lügen über die Musik, die er gerne hörte oder Erzählungen darüber, dass er viel Fleisch essen würde, weil er dachte, dass das männlich wirkt (Ja, wir sprechen von demselben Mann der heute ein veganer Aktivist ist) an und ging bis hin zu homophoben und transphoben Äußerungen, um sich von der queeren Szene zu distanzieren.
Vielleicht hast du schon einmal von dem Ausdruck Pick-Me-Girl gehört – eine Bezeichnung für cis Frauen, die andere Frauen abwerten, indem sie behaupten, selbst nicht „typisch Frau“ zu sein und so versuchen, sich bei Männern auf Kosten anderer Frauen beliebt zu machen. Eine Vorgehensweise die Aljosha, der über sich sagt, früher ein Pick-Me-Gay gewesen zu sein, vertraut ist. Auch nach seinem Outing hat er lange Zeit andere Schwule verbal negativ bewertet, um sich klar von ihnen abzugrenzen. Die Rolle: „Ich bin nicht so ein Schwuler.“ legte er sich zu, in der Hoffnung, von heterosexuellen Menschen gemocht und nicht ausgegrenzt zu werden.
Fehlende Sichtbarkeit
Warum homosexuelle Kinder Vorbilder brauchen
Auch Aljosha selbst hat heteronormative Strukturen verinnerlicht, die seine Wahrnehmung und auch seine Selbstdarstellung stark beeinflussen. Heteronormatives Denken ist also nichts, das nicht-queeren cis Männern und cis Frauen vorbehalten ist. Aljosha erzählt den Besten Freundinnen von einer Situation, in der ihm seine eigenen Rollenbilder schmerzlich bewusst wurden: Im Kontext einer queeren Fernsehshow, ermutigte ihn eine andere Teilnehmerin dazu, ihre High Heels anzuziehen und darin einen kleinen Walk hinzulegen. Auch wenn er allein die Vorstellung extrem unangenehm fand, ließ er sich letztendlich überreden. Obwohl die Kameras nicht liefen und er nur von queeren Personen umgeben war, wäre er vor Scham am liebsten im Boden versunken. Die Tatsache, dass das Verlassen seiner Komfortzone eine solche Angst in ihm auslöste, ließ ihn verzweifeln und warf zahlreiche Fragen in ihm auf: „Wer bin ich eigentlich?“ dachte er plötzlich. „Und wer wäre ich geworden, wenn es diese ganze heteronormative Scheiße nicht gegeben hätte?“ Dass eine scheinbar banale Handlung, wie ein paar Meter in High Heels zu laufen, eine solche Angstreaktion in Aljosha auslöste und das, obwohl er nur von Menschen umgeben war, die ihm ein sicheres Gefühl gaben, sagt nicht nur etwas über ihn, sondern vor allem einiges über unsere Gesellschaft aus. Und zwar nichts Gutes.
Wie könnte Aljoshas Scham nicht unfassbar groß sein? Schließlich lernte er sein ganzes Leben lang, sich für seine feminine Seite zu schämen – Sich für den Menschen zu schämen, der er ist. Schon immer begleiteten ihn zahlreiche Ängste: Die Angst, anders zu sein als alle anderen. Die Angst allein zu sein. Die Angst, ausgegrenzt und anders behandelt zu werden. Die Angst, dass ihn Menschen nicht (mehr) mögen oder sogar hassen würden, wenn sie wüssten, dass er schwul ist. Und als wäre das nicht genug, wurden all diese Ängste von einem weiteren Gefühl begleitet – einem Gefühl, das immer mitschwingt und so sehr man es auch versucht, nie ganz verdrängt werden kann: Das Gefühl, falsch zu sein.
Darum ist jedes Outing wichtig
„Mama und Papa, ich muss euch was sagen. Ich bin hetero.“ Klingt seltsam? Kein Wunder, da wohl noch kein heterosexueller Mensch das Gefühl hatte, seinen Eltern mitteilen zu müssen, dass er auf das andere Geschlecht steht. Aber warum „müssen“ sich dann homosexuelle Menschen outen? Und ist es nicht schon diskriminierend, dass wir von queeren Menschen ein Outing erwarten? In einer idealen Welt, in der es keine Rolle spielt, welche sexuelle Orientierung ein Mensch hat, ja. Aber in so einer Welt leben wir leider (noch) nicht.
Deshalb ist es keinesfalls irrelevant, dass den Coming-Outs von Musiker:innen, Schauspieler:innen oder Spitzensportler:innen mediale Aufmerksamkeit geschenkt wird. Kommentare wie „Wieso ist so eine triviale Neuigkeit überhaupt eine Berichterstattung wert? Das sollte inzwischen ja wohl normal sein.“ sind demnach völlig unangebracht, da sie die Ernsthaftigkeit und Wichtigkeit eines Outings verkennen. Denn so traurig es ist, bis es von der Gesellschaft als „normal“ (und was heißt schon „normal“?) angesehen wird queer zu sein, ist es noch ein langer Weg. Daher ist die LGBTQIA+ Szene auf jedes Coming-Out angewiesen, um mehr Sichtbarkeit zu erlangen. Solange wir in einer Welt leben, in der queere Personen aufgrund ihres Aussehens und ihrer Sexualität verbaler und körperlicher Gewalt ausgesetzt sind, Trans-Personen nicht über ihren eigenen Körper entscheiden können und schwule Männer nicht weltweit Blut spenden dürfen, ist keine Regenbogenflagge zu viel und kein Outing irrelevant. Ein Profifußballspieler, Sänger oder Politiker, der medial zu seiner Homosexualität steht, hätte genau das Vorbild sein können, das Aljosha damals brauchte. Was wir niemals vergessen dürfen: Jedes Outing hat die Chance, auch nur einem einzigen Kind das Gefühl zu geben, nicht alleine zu sein.
Alles zu seiner Zeit – Warum du niemals jemanden zu einem Outing pushen solltest
Vielleicht kanntest auch du schon mal jemanden in deinem Umfeld, bei dem du das Gefühl hattest, er oder sie könnte eventuell queer sein. Du wusstest aber nicht so Recht, wie du mit der Situation umgehen sollst? Verständlich, schließlich wollen wir niemandem zu nahe treten. Auch Jakob erinnert sich an einen Kindheitsfreund, der in einem sehr konservativen Elternhaus aufwuchs und sich daher immer nur im Schutz von Jakobs Familie traute, mit Barbies zu spielen, zu tanzen oder sich zu verkleiden. Tatsächlich geoutet hat er sich aber erst Ende Zwanzig, nachdem er bereits mit einer Frau verheiratet war und ein gemeinsames Kind mit ihr hatte. Seine Angst war so groß, dass er es für nahezu ein Drittel seines Lebens in Kauf nahm, sich für jemand anderen auszugeben, als er eigentlich war. Jahrelang eine so enorme Belastung mit sich herumtragen zu müssen, ist schmerzhaft und tragisch – und eine solche Situation von außen mit anzusehen, ist nicht immer leicht zu handhaben. Dennoch muss uns bewusst sein, dass ein Outing sehr individuell und persönlich ist und wir nie die exakte Lebenssituation und Gefühlslage von anderen Menschen einsehen können. Daher solltest du niemals jemanden zu einem Outing drängen, oder euphemistisch ausgedrückt “motivieren”. Alles was du tun kannst, ist zu sagen: „Egal wer du bist und egal wen du liebst, ich bin immer für dich da. Ich hoffe, du weißt das.“
Uns muss bewusst sein, dass jeder von uns jemanden in seinem Umfeld haben kann, der zwar queer, aber noch nicht geoutet ist, da er oder sie diese Identität versteckt oder sie (noch) nicht wahrhaben möchte – beziehungsweise einfach noch nicht dazu in der Lage ist, sie sich und anderen einzugestehen. Daher ist es unfassbar wichtig, dass wir grundsätzlich tolerant und sensibel mit der Vielfalt in Sexualität, Geschlecht und Orientierung umgehen und darauf achten, wie wir uns verbal und nonverbal über queere Menschen äußern. Aljosha verrät uns, was sich queere Personen, die Angst vor einem Coming-Out haben, sehnlichst wünschen: das Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit und Verständnis. Es ist die Aufgabe von uns allen, unser Bestes zu tun, um Menschen, die der LGBTQIA+ Community angehören und sich aufgrund ihrer Identität schon in zahlreichen Situationen machtlos fühlen mussten, eben diese Sicherheit zu schenken. Sodass der Safe Space für queere Menschen irgendwann nicht mehr nur in bestimmten Bars, Clubs oder Szenen existiert, sondern überall auf der Welt, in der wir leben. Lasst uns also gemeinsam daran arbeiten, dass die Utopie, in der es egal ist, wer man ist und wen man liebt, zur Realität wird.
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